13 neue Stolpersteine wurden im November 2022 in Esslingen verlegt – als Mahnmal gegen das Vergessen von NS-Opfern. Drei dieser Stolpersteine in der Esslinger Webergasse erinnern an Fanny Hammel und Hans Karl Perlen, die als Juden ermordet wurden, sowie an deren Sohn Alfred Perlen, der im Ausland überlebt hat. Die neuapostolische Kirchengemeinde Esslingen-Mitte hat die Patenschaft des Stolpersteins für Fanny Hammel übernommen.
Zum Pflasterbelag in der Esslinger Altstadt kamen am 15. November 2022 vor dem Haus Webergasse 15 drei neue glänzende Steine hinzu. Hier war der letzte gemeinsame Wohnsitz der Familie Perlen. Zu der kleinen Gedenkfeier waren Vertreter*innen der katholischen, evangelischen und jüdischen Gemeinden, des Vereins DENK-ZEICHEN e.V., Nachbarn und weitere Interessierte gekommen. Von der Neuapostolischen Kirche waren Apostel Jürgen Loy und Bischof Matthias Grauer sowie Gemeindemitglieder der neuapostolischen Stadtgemeinden Esslingens dabei; war doch Fanny Hammel seit 1929 neuapostolische Christin und Gemeindemitglied der Gemeinde Esslingen-Mitte.
Nach einer kurzen Ansprache stellte Gerhard Voss vom Esslinger Verein DENK-ZEICHEN zunächst die Lebensläufe von Alfred und Hans Karl Perlen in den Mittelpunkt:
Alfred Perlen
Alfred Perlen wurde am 13. Juli 1925 geboren als Sohn von Fanny und Hans Karl Perlen. Alfred wurde 12-jährig von seinem Vater 1937 in die Schweiz gebracht und konnte 1951 nach Amerika emigrieren und damit den Naziterror überleben. Er fand in New York eine neue Heimat, wo er 1996 im Alter von 71 Jahren verstarb.
Hans Karl Perlen
Hans Karl Perlen wurde am 5. April 1891 in Stuttgart geboren und stammte aus einer angesehenen jüdischen Familie aus Esslingen. 1936 musste er seinen Beruf aufgrund seiner jüdischen Herkunft aufgeben. Auch seine Ehefrau Fanny, geborene Hammel, war jüdischer Abstammung. Die beiden heirateten 1922; doch die Ehe wurde 1937 geschieden.
Hans Karl Perlen ging eine neue Beziehung ein. Seine Partnerin war nach der nationalsozialistischen „Rassentheorie“ eine „Arierin“. Deshalb wurde Hans Karl Perlen 1938 zu über einem Jahr Zuchthaus wegen „Rassenschande“ verurteilt. Bis zum Krieg war Perlen recht vermögend gewesen, doch sein gesamter Besitz wurde von der Gestapo beschlagnahmt. Vermutlich Anfang 1941 wurde Perlen von der Reichsvereinigung der deutschen Juden in ein landwirtschaftliches Lehrgut in Frankfurt an der Oder gebracht, damit er dem Konzentrationslager entging. Danach kam er in ein Arbeitslager in Fürstenwalde, schließlich wurde er in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert und 1943 in das Konzentrationslager von Warschau verlegt, wo er 1944 an Flecktyphus verstarb.
Der Historiker Dr. Karl-Peter Krauss beleuchtete das Schicksal von Fanny Hammel, gesch. Perlen:
Fanny Hammel
Fanny Hammel wurde am 22. Februar 1894 in Neufreistett südlich von Baden-Baden geboren. Sie war jüdischer Herkunft. Fanny heiratete mit knapp 28 Jahren Hans Karl Perlen. 1925 wurde der Sohn Alfred geboren. Ihre Ehe wurde 1937 geschieden.
Fanny konvertierte am 8. Dezember 1929 in die Neuapostolische Kirche. Als Beruf ist im Kirchenbuch „Reisende“ (Vertreterin), angegeben.
Aufgrund ihrer jüdischen Abstammung war Fanny unter der Gewaltherrschaft zunehmend harten Restriktionen und Diskriminierungen ausgesetzt. So musste sie die Trennung von ihrem 12-jährigen Sohn Alfred verkraften und wurde mehrfach zwangsumgesiedelt. Auch musste sie den Judenstern tragen – trotz ihres christlichen Glaubens.
Am 27. November 1941 wurde Fanny Hammel im Alter von 47 Jahren nach Stuttgart auf das Reichsgartenschaugelände auf dem Killesberg gebracht. Hier wurden rund 1.000 Juden aus ganz Württemberg interniert zur Vorbereitung der Deportation in ein Konzentrationslager.
Am Morgen des 1. Dezember 1941 verließ der völlig überladene Zug den Stuttgarter Nordbahnhof mit dem Ziel Lettland. Nach drei Tagen Fahrt wurden die Deportierten von brüllenden und schlagenden Polizeimannschaften aus den Waggons gejagt. Das Gepäck der Angekommenen wurde geplündert. Fanny Perlen wurde bei klirrender Kälte von unter minus 30°C in das Lager Riga-Jungfernhof eingewiesen - und hier verliert sich ihre Spur. Wann und wie sie starb konnte bis heute nicht ermittelt werden.
Nur noch ganz wenige Gemeindemitglieder der neuapostolische Gemeinde Esslingen-Mitte können sich an Fanny Perlen erinnern – manche aus Erzählungen von ihren Großeltern. Nun wurde die Erinnerung an sie wieder lebendig.
Ein ausführlicher Lebenslauf ist im Anhang zu finden.
Von guten Mächten…
Zum Ausklang der Gedenkveranstaltung spielte ein Duo aus der Gemeinde Esslingen-Mitte das Lied „Von guten Mächten treu und still umgeben“. Dietrich Bonhoeffer hatte das Gedicht am Ende seiner Gestapo-Haft als Abschiedsgruß an seine Familie verfasst.
Gerhard Voss beendete das Zusammensein mit einem afrikanischen Spruch, der auf dem Esslinger Ebershaldenfriedhof auf einer Stele auf dem Gräberfeld für Wohnungslose – in unmittelbarer Nähe des jüdischen Friedhofs – zu lesen ist „Es gibt keinen Weg, der nicht irgendwann nach Hause führt“.
Was sind Stolpersteine?
Sie sind 10 x 10 cm groß, aus Beton gegossen, mit einer beschrifteten Messingplatte versehen und werden in das Pflaster bzw. in den Gehweg bündig eingelassen, damit niemand durch sie zu Schaden kommen kann. Und trotzdem heißen sie “Stolpersteine”, denn wer sie im Vorübergehen sieht, soll im Geiste darüber stolpern, kurz innehalten und die Eingravierung lesen. Um die Inschrift lesen zu können, muss man sich bücken – ein Zeichen von Demut. Unter der Überschrift “Hier wohnte…” wird damit direkt vor dem letzen bekannten Wohnhaus des Opfers ein Stück Geschichte in unser alltägliches Leben zurückgeholt. Stolpersteine sollen die Opfer aus der Anonymität herausholen, dort, wo sie gelebt haben. In ehrender Erinnerung soll an das Schicksal der Menschen gedacht werden, die in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt, vertrieben, deportiert, ermordet oder in den Suizid getrieben wurden.
Der Gedanke zu solchen Stolpersteinen stammt von dem Kölner Künstler Gunter Demnig, der seit Beginn des Projekts im Jahr 1996 europaweit rund 90.000 von ihnen, darunter über 60 in Esslingen, verlegt hat.